Die Brauerei Höcherl in Culm

Die Bewohner Westpreußens waren eigentlich keine großen Biertrinker. Dies lag zum Teil daran, dass die meisten Gutsbesitzer auf dem Land eigene Schnapsbrennereien betrieben. Wer auf den großen Gütern arbeitete, war zugleich ein guter Abnehmer des dort gebrannten Kartoffelschnapses, und das auf dem Land erhältliche Bier war eher von schlechter Qualität. Dies änderte sich langsam ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als das aus Bayern kommende untergärige Lagerbier seinen Siegeszug durch die ganze Welt begann.

Auch in Westpreußen versuchte man nun, nach der bayerischen Brauweise zu brauen; trotzdem betrug der Bierverbrauch der westpreußischen Bevölkerung stets nur etwa die Hälfte des Bierkonsums im preußischen Staat insgesamt. Im Jahr 1887 waren es zum Beispiel ca. 35 l, während die Kopfquote in der Norddeutschen Brausteuergemeinschaft bei 77 l lag. Die Zahl der Brauereien in Westpreußen bewegte sich immer um die 100 Betriebe, im Jahr 1883 waren es zum Beispiel 104, 1903 waren es noch 91. Zum Vergleich: In Schlesien hatte allein die Stadt Breslau im Jahr 1892 noch 77 Braustätten. Obwohl die Anzahl der Betriebe abnahm, hat sich die Biererzeugung Westpreußens in dieser Zeit fast verdoppelt, und zwar von 462.187 hl im Jahr 1883 auf 841.866 hl im Jahr 1901. Diese Entwicklung verdankte die Provinz vor allem modern eingerichteten Großbrauereien, die wohlschmeckende und haltbare Biere produzierten. Eine von ihnen war die 1874 gegründete Brauerei und Mälzerei von Aloys Höcherl in Culm an der Weichsel.

Eine erfolgreiche Neugründung

Aloys Höcherl wurde 1830 in Bayern geboren, wo er auch den Beruf des Bierbrauers erlernte. Im Jahr 1859 übernahm er die Braumeisterstelle in der Brauerei des Rittergutsbesitzers Ruperti in Grubno bei Culm. Er heiratete die zehn Jahre jüngere Anna Greiner, mit der er zwei Söhne hatte, Aloys junior und Franz. Carl von Ruperti (1835–1909) hatte das Gut Grubno im Jahr 1856 gekauft; eine Brauerei befand sich dort bereits seit dem Jahr 1845. Der bayerische Braumeister muss in der einfach ausgestatteten Brauerei (in der von Ruperti erst 1899 eine Dampfmaschine installieren ließ) gute Biere gebraut haben und hat es dort mit den Jahren zu einem Wohlstand gebracht, der es ihm 1874 erlaubte, sich selbständig zu machen.

In diesem Jahr kaufte Aloys Höcherl für 27.000 Mark die damals stillgelegte Brauerei in der Bischofstraße (der heutigen ul. Biskupia) in Culm, richtete sie für die untergärige (bayerische) Brauweise ein und erweiterte sie in erheblichem Maße. Als ein Glücksfall für den Besitzer erwies sich der junge Braumeister Wolfgang Geiger. Geiger stammte aus der Nähe von Landshut in Bayern. Er erlernte den Brauerberuf in einer kleinen Brauerei in seiner Heimat und ging danach, wie es in dieser Zeit üblich war, für eineinhalb Jahre auf Wanderschaft. In Culm traf er in Aloys Höcherl einen Landsmann, bei dem er eine Anstellung als Braumeister bekam. Unter der Leitung von Wolfgang Geiger wurde die Brauerei weiter modernisiert und ausgebaut, erlangte auch bald eine überregionale Bedeutung. Ihre Erzeugnisse wurden auf verschiedenen Ausstellungen präsentiert, unter anderem in Danzig, Königsberg, Köln und sogar in Paris. Wolfgang Geiger war ein Tüftler und Erfinder. Er machte viele Experimente und ließ einige seiner Erfindungen patentrechtlich schützen.

Aloys Höcherl starb 1884 im Alter von nur 54 Jahren. Die Leitung des Betriebes übernahm zunächst seine Frau Anna, einige Jahre später heiratete sie Wolfgang Geiger, den Braumeister. In Zukunft sollte aber Aloys jr. die Brauerei leiten; für ihn wurde sie im Jahr 1894 sehr großzügig umgebaut. Das Maschinenhaus wurde neu errichtet und mit zwei Dampfmaschinen ausgestattet, von denen die kleinere 50 PS und die größere 100 PS leisteten. Neben den Maschinen in der Brauerei und Mälzerei betrieben die Dampfmaschinen eine Eismaschine und Dynamos, die das ganze Anwesen mit elektrischem Licht und, wie man damals sagte, elektrischer Kraft versorgten. Die eigene Mälzerei war für eine Jahresproduktion von 30.000 Zentnern Malz eingerichtet und konnte fast den ganzen Jahresbedarf der Brauerei decken. Die Gär- und Lagerkeller waren nun auf eine jährliche Produktion von 80.000 hl Bier hin ausgelegt, und zum Schluss wurde das Herzstück der Brauerei – das Sudhaus – neu gebaut. Hier dachten die Brauereibesitzer schon über den Tag hinaus und ließen von der Firma Riedinger in Augsburg ein Sudwerk für 65 Zentner Einmaischung installieren, das in Zukunft eine Jahresproduktion von bis zu 130.000 hl Bier zu ermöglichen vermochte. Die Brauerei war jetzt auf dem modernsten Stand der Technik; Aloys Höcherl jr. jedoch hatte sich andere Ziele für sein Leben gesetzt und wollte die Firma nicht übernehmen. Stattdessen zog er mit seinem Bruder Franz nach Oliva bei Danzig.

Nachdem keiner der beiden Söhne an der Brauerei interessiert war, entschieden sich Anna und Wolfgang Geiger 1896, die Firma in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Die Höcherl-Bräu Aktiengesellschaft hatte ein Aktienkapital von 2.000.000 Mark, aufgeteilt in 2.000 Aktien zu je 1.000 Mark. Sämtliche Aktien übernahm die Brauerei­besitzerin Anna Geiger. Am 1. Oktober 1897 wurde die Brauerei dann zu einem Preis von 3.400.000 Mark an das Bankhaus Arnhold in Dresden verkauft. Wolfgang Geiger fungierte weiterhin als technischer Direktor des Unternehmens, die Stelle des kaufmännischen Direktors übernahm Gustav Sauter. Aloys und Franz Höcherl wurden in den Aufsichtsrat berufen. Ihre Mutter zog sich aus dem Geschäftsleben zurück und verstarb im Jahr 1902.

Eine expandierende AG

Zu dem Zeitpunkt, an dem die Höcherl-Bräu Aktiengesellschaft gegründet wurde, gab es in Westpreußen noch drei weitere Aktienbrauereien. Es waren die Danziger Aktien-Bierbrauerei in Danzig-Langfuhr, die Brauerei Englisch Brunnen in Elbing und die Brauerei Kunterstein in Graudenz. Die Höcherl-Brauerei stieß 1897 nun als viertes Aktienunternehmen dazu – und übertraf gleich in ihrem ersten Geschäftsjahr mit einer Bierproduktion von 76.336 hl und einer Dividende von 9 % alle anderen in der Provinz ansässigen Konkurrenten. Dies gelang ihr aber nur dieses eine Mal, denn vom nächsten Jahr an hatte die Danziger Aktien-Brauerei immer den höchsten Bierausstoß, während die Brauerei Höcherl stets den zweiten Platz belegte. Seit ihrer Gründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges betrug die Produktion der Brauerei Höcherl jährlich zwischen 65.000 und 75.000 hl Bier.

Zum Absatzgebiet der Brauerei gehörten hauptsächlich die preußischen Provinzen Westpreußen, Ostpreußen, Posen und Schlesien. Den Biervertrieb besorgten anfangs Pferdefuhrwerke, die Brauerei besaß 32 eigene Pferde. Als 1883 der Anschluss der Stadt Culm an die Weichselstädtebahn vollendet wurde, konnte man die Absatzgebiete schnell erweitern. Man investierte in Eisenbahnwaggons, mit denen das Bier in weiter entfernte Gebiete exportiert werden konnte. Im Jahr 1898 waren es bereits acht eigene Waggons; ein Jahr später kaufte die Brauerei ihren ersten Lastwagen. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um einen Daimler, von dem in diesem Jahr 13 Stück an Brauereien verkauft wurden. Der Lastwagen ermöglichte einen schnelleren Versand und sollte an Stelle der langsamen Fuhrwerke nicht nur bis zur Bahnstation Teres­pol, sondern zweimal am Tag bis nach Bromberg fahren, von wo aus dann der weitere Transport erfolgte.

Die Brauerei investierte auch an verschiedenen Orten in Lokale, um die Reichweite ihrer Produkte zu vergrößern. Sie besaß eigene Grundstücke mit Ausschankstätten in Hammerstein, Kr. Schlochau, Danzig und Graudenz sowie eine Zweigniederlassung in Innowroclaw. Sie kaufte, um nur einige zu nennen, 1897 für 115.000 Mark das Rödersche Etablissement in Schneidemühl, 1899 für 75.000 Mark das Hotel der Frau Lipinski in Neumark, für 72.000 Mark das Restaurant Hohenzollernpark in Thorn, 1900 für 6.500 Mark das Schweizerhäuschen in Culm, 1902 das Vergnügungsetablissement und Spezialitätentheater Wintergarten am Olivaer Tor in Danzig sowie für 60.000 Mark das Hotel Stadt Berlin in Freystadt/Westpr., Kr. Rosenberg. Sie besaß auch Ausschankstellen in Breslau, wie zum Beispiel den Hauptausschank an der Promenade, oder das Lokal Höcherl-Bräu in der Matthiasstraße 45.

In der Firmengeschichte gab es um die Jahrhundertwende einige unterschiedliche Vorkommnisse, Unfälle, aber auch Skandale, durch die die Brauerei Höcherl in die Schlagzeilen geriet. – 1899 ging ein penibel aufgearbeiteter Fall einer angeblichen „Steuerhinterziehung“ durch die Presse. Im Juni dieses Jahres wurde der kaufmännische Direktor Gustav Sauter wegen solch eines Delikts zu 160 Mark Geldstrafe bzw. 16 Tage Gefängnis verurteilt. Dabei ging es wohlgemerkt um eine Summe von acht Mark in einem Falle sowie in zwei weiteren um 1,20 und eine Mark. (Um deutlich zu machen, um welche Beträge es sich damals handelte, sei angeführt, dass ein Brauereiarbeiter in zwei Tagen durchschnittlich acht Mark verdiente.) Späterhin wurde Direktor Sauter allerdings von der Anklage freigesprochen – und sogar zum Stadtverordneten gewählt.

Im gleichen Jahr 1899 gab es zudem einen Brand, bei dem die Picherei, d. h. die Abteilung, in der die Böttcher ihre Holzfässer mit Brauerpech auskleiden, damit sie dicht und steril werden, abbrannte. Dies störte den Betrieb der Brauerei aber nicht. Schlimmer kam es jedoch im Jahr 1903, als im Maschinenhaus ein Dampfkessel explodierte.

Allgemeine Aufmerksamkeit hat im Oktober 1899 schließlich auch eine geradezu „kriegerische“ Auseinandersetzung erregt, die sich in der Garnisonsstadt Culm abspielte und in die die Brauerei involviert war: Der Kellermeister der Brauerei, der mit einer jungen Dame auf einer Bank im Park verweilte, wurde von vier Soldaten des Jäger-­Bataillons Nr. 2 angepöbelt und von einem von ihnen bei dem anschließenden Streit am Kopf verletzt. Am nächsten Tag zogen ­einige der Beschäftigten der Brauerei in die Stadt, um ihren Kollegen zu rächen. Sie griffen dort zufällig anwesende Soldaten an, mussten sich wegen deren Überzahl aber wieder zurückziehen. Daraufhin verschafften sich die Soldaten ihrerseits Zugang zur Brauerei, so dass das Kommando des Bataillons mehrere Posten in die Brauerei entsandte, um die Arbeiter vor den Angriffen zu schützen. Am nächsten Tag kam es zu einer weiteren Eskalationsstufe: Etwa 50 Brauereiarbeiter, bewaffnet mit Knüppeln und eisernen Stangen, zogen neuerlich in die Stadt und attackierten ihre uniformierten „Feinde“ – bis die Polizei und Wachmannschaften der Garnison dem Spuk mit Waffengewalt ein Ende bereitete. Vier der angriffslustigsten Brauer wurden letztlich wegen Landfriedensbruchs zu je drei Monaten Gefängnis verurteilt.

20 Jahre des Niedergangs (1914–1933)

Der Erste Weltkrieg mit allen seinen Konsequenzen brachte die Brauwirtschaft beinahe zum Erliegen. Die jungen, kräftigen Männer mussten in den Krieg ziehen, die Armee beschlagnahmte die Lastwagen, von denen viele beim Kauf staatlich subventioniert worden waren, dafür aber im Kriegsfall auch der Armee zur Verfügung gestellt werden mussten. Es fehlte an Rohstoffen und an Kohle. Schließlich wurden auch Brauereianlagen demontiert und zu Kanonen und Munition umgeschmolzen. Der Brauerei Höcherl gelang es trotzdem verhältnismäßig gut, diese schwierige Zeit zu überstehen. Ein Tiefpunkt wurde im Jahr 1918 erreicht, als die Malzkontingente der Brauereien auf zehn Prozent der „Friedensmenge“ reduziert wurden, d. h. die Menge, die die Brauereien im Betriebsjahr 1912 / 13 verbraucht hatten. Dabei waren besonders die kleineren Betriebe im Nachteil, deren Kontingente so niedrig waren, dass es ihnen praktisch unmöglich wurde, die Produktion wieder aufzunehmen. Viele verkauften ihre Kontingente deshalb an größere Brauereien, die auf diese Weise ihre Produktion erhöhen konnten und derart wieder einigermaßen zu prosperieren vermochten. Die Brauerei Höcherl erwarb im Jahr 1919 das Malzkontingent der Brauerei Wolff in Culmsee, zu der auch die Brauerei in Argenau gehörte.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam Culm an den wiedererrichteten polnischen Staat. Die Stadt hieß jetzt Chełmno und der Name des Unternehmens lautete nun: Browary Chełminskie Towarzystwo Akcyjne (Culmer Brauereien A.-G.). Im Jahr 1920 waren Aloys jr. und Franz Höcherl, die Söhne des Brauereigründers, noch Mitglieder des Aufsichtsrates; Wolfgang Geiger fungierte weiterhin als technischer Direktor. Die Leitung der Brauerei musste dringend nach neuen Absatzgebieten suchen, denn die bisherigen Kunden in Schlesien und Ostpreußen befanden sich nunmehr im Ausland. Ein großes Problem stellte zudem die polnische Bierbesteuerung dar, die spätestens ab dem Jahr 1924 dazu führte, dass sich nur eine Produktion von Bieren mit weniger als 2,5 Prozent Alkohol lohnte: Schon im Jahr 1926 bestanden 96,7 Prozent der polnischen Gesamtproduktion aus solch einem Bier, das als Exportware ins Ausland aber schlichtweg ungeeignet war.

In Polen hingegen lag der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch 1923 lediglich bei 4,3 l Bier. Als gutes Absatzgebiet konnte wenigstens die Hauptstadt Warschau erschlossen werden, aber die Lage der Brauerei wurde zunehmend kritisch, vor allem nachdem inzwischen auch noch der Braumeister Wolfgang Geiger seinen Posten niedergelegt hatte. (Er starb am 20. Januar 1925.) Im Jahr 1929 produzierte die Culmer Brauerei noch 24.292 hl Bier, was nur etwa einem Drittel der Produktion aus ihren besten Jahren entsprach. Schließlich führte die Weltwirtschaftskrise zu einer massiven Beeinträchtigung der Bierproduktion, die in Polen fast gänzlich zum Stillstand kam. Im Jahr 1933 erreichte der Pro-Kopf-Verbrauch mit 3 l den niedrigsten Wert in dieser Zeit.

Ein deutliches Zeichen des Niedergangs bildete, dass die Brauerei Strakacz in Skierniewice 1931 in Culm zwei Bierwaggons erwarb; und im Jahr 1933 musste die Brauerei Höcherl dann tatsächlich Konkurs anmelden und stellte die Bierproduktion endgültig ein. – Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Mälzerei aber von den deutschen Besatzern noch einmal in Betrieb gesetzt. Der Malzmeister Benedykt Gorski produzierte in den ersten Kriegsjahren p. a. etwa 150.000 Doppelzentner Malz.

Die Gebäude der ehemaligen Brauerei sind bis heute erhalten geblieben. Das ehemalige Sudhaus an der Bischofstraße dient nunmehr neben anderem als Möbelhaus.

Andreas Urbanek

 

 

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