Ein kirchengeschichtlicher Beitrag zur Diskussion über die Seligsprechung von Augustyn Kardinal Hlond

Von Stefan Samerski

„Sie sind zwar nur Bischof einer kleinen Diözese geworden, aber dieser Stadtstaat stellt einen Brennpunkt der latenten europäischen Krise dar. Sie werden es in Ihrem Bistum nicht leicht haben ! “  Das waren die prophetischen Worte des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli, des nachmaligen Pius XII., an den 1938 geweihten Danziger Bischof, Dr. Carl Maria Splett (1898–1964). Schon wenige Monate später erfüllte sich in drastisch-­brutaler Weise das Diktum das römischen Kirchenfürsten. Und es sollte 1945 für ihn noch viel ärger kommen.

Vorgeschichte

Tatsächlich war die 1925 ins Leben gerufene katholische Diözese Danzig mit ihren ca. 140.000 Katholiken relativ klein. Das Bistum für das Gebiet der Freien Stadt Danzig war errichtet worden, um den Nationalitäten-Auseinandersetzungen in Westpreußen nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Wege zu gehen. Und dennoch war dieser Konflikt gerade innerhalb des katholischen Lebens nicht zu beseitigen. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft über die Freie Stadt flammte diese Auseinandersetzung brisant auf. 1938 hatte der erste Bischof der neuen Diözese, Eduard Graf O’Rourke, deswegen das Handtuch geworfen, und Splett wurde sein blutjunger Nachfolger. Er taktierte anfangs geschickt mit den Nazis, machte aber schon bei seiner Bischofsweihe im August 1938 deutlich, dass er auch für seine polnischen Katholiken da war :  er ließ zweisprachige Gedenkbildchen und Hirtenworte erscheinen. Der politische Druck, unter dem Splett stand, wurde nach Kriegsbeginn 1939 noch stärker :  Die polnischen Geistlichen wurden verhaftet, und das polnische Nachbarbistum Kulm (Korridorgebiet) war binnen Wochen führer- und auch fast priesterlos. Der Heilige Stuhl ernannte Splett am 5. Dezember inoffiziell zum Oberhirten von Kulm, um der seelsorglichen Not abzuhelfen. Splett tat, was er vermochte. Durch seine Amtsführung im okkupierten Korridorgebiet konnten die Kirchen wieder geöffnet werden und in jedem Kreis Geistliche ihren Dienst tun. Obgleich die polnische Sprache grundsätzlich von den Machthabern verboten war, bereiste er das Gebiet, predigte selbst auf Polnisch und zog von auswärts neue Priester in das Besatzungsgebiet. (Ausführlich hat der Verfasser dieses Beitrags diese historische Episode in seinem Beitrag über Bischof Splett in DW 1/2018 dargestellt.)

Sechs Jahre später, am 25. März 1945, rückte die Rote Armee in Danzig-Oliva ein, dem Sitz des Bischofs und der Bistumsverwaltung. Mord, Vergewaltigung, Zerstörung, Plünderung, Brandstiftung und Verhaftungen folgten. An jenem Tag wurde auch Bischof Splett zum ersten Mal inhaftiert. Die Russen forderten – wenn auch vergeblich – seine Unterschrift unter einer Erklärung, sich polenfeindlich und päpstlich-konspirativ betätigt zu haben. Die Gräuel und Zerstörungen bei Kriegsende machten auch vor den Kirchen nicht Halt. Vielfach hatten die Gläubigen in den Gotteshäusern vor den einrückenden Russen Schutz gesucht, so etwa in der Kathedrale und in St. Josef in Danzigs Innenstadt. Dort wurde die Kirche verschlossen und mit den Menschen in Brand gesetzt. Der Sowjetarmee folgten russische Abteilungen des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten, die systematisch alle demokratischen Ansätze im Keim erstickten. Dabei bediente man sich der Infiltration durch Mitglieder der Polnischen Arbeiterpartei, der Zensur und jeder Art von Täuschung. So wurde auch Splett, der am 10. Mai aus der Haft entlassen worden war, irregeleitet, indem man ihm vorgebliche Priester aufzwang, damit er diesen Kirchenämter übertrage. Dennoch begann Splett in dieser desolaten Situation, die beiden Diözesen Danzig und Kulm zu reorganisieren und weitere polnische Priester, die nun in die deutschen Ostgebiete kamen, in die Pfarreien einzusetzen. Im Sommer nahm dann die kommunistische Hetze gegen deutsche Geistliche zu ;  der neue Danziger Woiwode forderte Splett auf, nach Deutschland überzusiedeln und bot ihm die Ausreise per Flugzeug an. Der Bischof wollte und durfte aber seine Gläubigen und Sprengel nicht im Stich lassen. Dazu war er kirchenrechtlich verpflichtet, denn jeder katholische Bischof ist vom Papst ins Amt eingesetzt und kann auch nur durch ihn davon entbunden werden.

Die Mission des Augustyn Kardinal Hlond

Inzwischen war der polnische Primas Augustyn Kardinal Hlond (1881–1948) nach Polen zurückgekehrt. Er war im September 1939 vor den deutschen Truppen geflohen und nach Rom und dann nach Frankreich gereist. Dort wurde er 1944 verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Nach seiner Befreiung im April 1945 fuhr der Primas nach Rom, wo für ihn Sondervollmachten vorbereitet wurden, die seinen Wünschen entsprachen. Darüber stellte der Sekretär der Kongregation für die Außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten, Domenico Tardini (1888–1961), am 8. Juli ein Schreiben aus – also nicht, wie man es erwarten sollte, der Papst persönlich oder der Kardinalstaatssekretär, dessen Amt nach dem Tode von Luigi Maglione 1944 allerdings nicht mehr besetzt worden war. Der für die deutschen Ostgebiete relevante Punkt 4 lautet in deutscher Übersetzung: „[…] Ausgeschlossen bleibt ebenfalls die Vollmacht, wahre und eigentliche Bischöfe zu ernennen. Für die vakanten Bischofsstühle kann gesorgt werden – falls es nicht möglich ist, sie einem Kapitelsvikar anzuvertrauen oder anvertraut zu lassen – durch die Ernennung von Apostolischen Administratoren ad nutum Sanctae Sedis (meint :  bis auf Widerruf durch den Heiligen Stuhl ;  d. Verf.). […] Von diesen ganz besonderen Vollmachten wird Eure Eminenz im ganzen polnischen Territorium Gebrauch machen dürfen. Sowohl den Kapitelsvikaren als auch den Apostolischen Administratoren können die Vollmachten eines Residenzbischofs verliehen werden.“

Mit diesen Vollmachten traf Hlond am 20. Juli in Posen ein und nahm dort Kontakt mit Andrzej Wronka (1897–1974) auf, der seit 1938 Rektor des polnischen Kollegs in Rom, seit Kriegsausbruch aber in seine Heimatstadt Gnesen zurückgekehrt war. Die Nationalsozialisten hatten ihn zwischen 1941 bis 1945 zur Büroarbeit in der Reichsbank gezwungen. Wronka wurde am 22. Juli nach Posen zitiert, wo er von Hlond darauf vorbereitet wurde, die Bistümer Kulm und Danzig zu übernehmen. Darüber verhandelte Hlond mit Wronka zwischen dem 6. und 8. August.

Amtsentsetzung wider gültiges Kirchenrecht

Am 9. August wurde Splett zum zweiten Mal verhaftet, dieses Mal im Auftrag des polnischen Generalstaatsanwalts. Das alles waren rein staatliche Maßnahmen. Zwei Tage später besuchte ihn jedoch ein Abgesandter des Kardinals Hlond im Untersuchungsgefängnis. Dieser informierte Splett darüber, dass ihn der polnische Primas kraft der vom Heiligen Stuhl übertragenen Sondervollmachten ab dem 1. September von seinen Funktionen als Apostolischer Administrator der Diözese Kulm entbinde. Angesichts der veränderten politischen Situation werde er auch der Funktion eines Bischofs von Danzig enthoben. Splett wurde mitgeteilt, dass Wronka zum Verwalter der Danziger und Kulmer Diözese vorgesehen sei. Über die Kenntnisnahme musste Splett ein Revers an den Hl. Stuhl unterschreiben. Hlond gab im Oktober 1946 an, dass eine persönliche Begegnung mit dem deutschen Bischof „nicht realisierbar“ gewesen sei. Das verwundert, denn seinem Abgesandten war es ganz offensichtlich möglich. Außerdem gilt es zu bedenken, dass diese kirchliche Neuordnung durch Hlond genau in den Tagen des Potsdamer Kommuniqués (4. ­August 1945) vorgenommen wurde, das die Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) beendete. Sie sah u. a. die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen sowie die Übergabe der östlich von Oder und Neisse liegenden Gebiete an Polen und die Sowjetunion vor. Damit hatte Hlond also schon faktisch vor der Entscheidung der Siegermächte die Weichen für die Kirche im ‚neuen‘ Polen gestellt.

Grundsätzlich behält sich der Heilige Stuhl stets vor, eine kirchliche Neuordnung (Grenzziehung, Personalentscheidung) unabhängig vom Staat vorzunehmen. So hatte etwa nach dem Ersten Weltkrieg die Römische Kurie größten Wert darauf gelegt, erst nach völkerrechtlich bindenden Abkommen wie einem Friedensvertrag neue Bistümer etc. einzurichten und neue Bischöfe zu ernennen. Das Potsdamer Abkommen verstand sich jedoch nicht als Friedensvertrag. Hlond ging es nach eigener Darstellung um die Bewältigung einer unhaltbaren Notsituation, aber auch dafür wäre eine direkte päpstliche Entscheidung ad personam notwendig gewesen. Vergleichbare Notfälle, mit denen Pacelli dienstlich beschäftigt war, lagen im Sowjetrussland der 1920er Jahre vor. Dort war die kirchliche Lage viel prekärer und aussichtsloser als die polnische von 1945 :  In Sowjetrussland war nach 1923 kein katholischer Bischof mehr vor Ort, der Priester hätte weihen und die Ortskirche hätte leiten können. Erst im Frühjahr 1926 wurden durch einen päpstlichen Vertreter, Bischof Michel d’Herbigny (1880–1957), kurzfristig Oberhirten im Untergrund geweiht und wieder eine Hierarchie installiert. In den deutschen Ostgebieten dagegen waren amtierende Bischöfe bzw. deren bevollmächtigte Stellvertreter im Amt. Eine direkte Amtsentsetzung, wie sie Hlond vorgenommen hatte, war demnach nicht Wille des Papstes und von ihm auch nicht intendiert. Der Text der Vollmachten sprach klar von „vakanten Bischofsstühlen“, also freigewordenen Sitzen. Dass man Splett durch einen Mittelsmann zwei Tage nach seiner Verhaftung zum Rücktritt nötigte, war unkollegial und erscheint darüber hinaus sogar verdächtig.

Fest steht jedenfalls, dass Hlond die Lage im Sommer 1945 als eine „äußerst schwierige Situation“ hochkritisch und nicht ganz den Tatsachen entsprechend einfärbte. In seinem geheimen Rechtfertigungsschreiben an die Römische Kurie (24. Oktober 1946) führt er aus :

Die deutsche Bevölkerung, von der nur ein geringer Teil geblieben war, wurde wie die Besiegten behandelt, die für die Hitlerverbrechen verantwortlich waren und dafür zu büßen hatten. Die ersten polnischen Machthaber, von den Russen eingesetzt, waren meist Kommunisten, Leute von geringer Bildung und nach Rache süchtige Juden. […] Die aus Deutschen zusammengesetzte Hierarchie verharrte dort zu jener Zeit in Stille und wurde in Handlungsunfähigkeit gehalten. Sowohl die russischen Okkupanten als auch die neue polnische Macht zeigten keinerlei Lust, sie anzuerkennen oder ihr irgendeinen Einfluss auf die Entwicklung der Dinge zuzubilligen ;  ganz im Gegenteil, man versagte den deutschen Ordinarien das Recht, die neue polnische Bevölkerung in ihre Jurisdiktion aufzunehmen und strebte nach deren Beseitigung aus jenen Gebieten überhaupt.

Das schrieb Hlond als Rechtfertigung seiner unzweifelhaft überzogenen Maßnahmen, die nicht mit dem katholischen Kirchenrecht in Einklang zu bringen waren. Im Juli und ­August 1945 waren die Gründung und Etablierung einer sozialistischen Republik Polen noch nicht absehbar und die Vertreibung der Deutschen eine gerade erst einmal beschlossene Sache. Auch der Heilige Stuhl verlangte eine Rechtfertigung seines Verhaltens, weshalb Hlond im Oktober 1946 den besagten Brief nach Rom schrieb.

Ermland – Breslau – Schneidemühl

Diesem ersten ordnungspolitischen Schritt der kirchlichen Verwaltung in den ostdeutschen Gebieten folgten bald weitere. Am 24. Juli wird Teodor Bensch (1905–1958) von Hlond als Apostolischer Administrator für Ermland vorgesehen und am 4. ­August Karol Milik (1892–1976) für Breslau. Dazu reiste der Primas am 12. August persönlich (!) nach Breslau, um den dortigen deutschen Kapitelsvikar Ferdinand Piontek (1878–1963) zum Rücktritt zu bewegen, der nach dem Tod von Adolf Kardinal Bertram am 6. Juli ordnungsgemäß zum Verwalter der Diözese gewählt worden war. Ihm teilte Hlond nun mit, dass der Heilige Vater wünsche, dass er sein Amt zur Verfügung stellen solle, um Platz für einen polnischen Apostolischen Administrator zu machen. Ähnlich erging es dem ermländischen Bischof Maximilian Kaller (1880–1947) :  Er wurde von Hlond am 16. August aus seiner Diözese ins Priesterseminar nach Pelplin zitiert und mit der neuen Situation konfrontiert. Kaller glaubte, wegen seiner guten Sprachkenntnisse und Fürsorge für die Polen auch weiterhin im Amt bleiben zu können, worauf Hlond erklärte, dass im polnischen Staat nur ein polnischer Bürger Bischof sein könne. Erst auf den Hinweis, dass auch der Breslauer Kapitelsvikar Piontek resigniert habe, unterschrieb Kaller die ihm vorgelegte Rücktrittserklärung. In der Freien Prälatur Schneidemühl geschah Ähnliches am 17. August.

All diese Vorgänge sind dokumentarisch unzweifelhaft belegt und von Augenzeugen bestätigt. Dieses menschlich schroffe Vorgehen und wenig mitbrüderliche Verhalten gibt zu denken !  Schon am 15. August erhielten die neuen polnischen Administratoren ihre Ernennungsurkunde, die mit dem 1. September, dem Tag des Kriegsbeginns, wirksam wurden. Aber auch hier galt :  Die Revolution frisst ihre Kinder !  Denn schon im Januar 1951 wurden die polnischen Administratoren durch den Staat gewaltsam aus ihren Bistümern entfernt und später durch neue ersetzt. Hlond selbst starb bereits am 22. Oktober 1948, nachdem seine Ansprache an die Katholiken der „wiedererlangten Gebiete“ vier Monate vorher veröffentlich worden war. Seine Beisetzung fand in der Trümmerwüste der Warschauer Kathedrale statt.

Nachwirkungen und Diskussion

Der Heilige Stuhl hat der Neuordnung der nun faktisch westpolnischen Gebiete in den Jahrzehnten nach Kriegsende nicht seinen Segen erteilt – im Gegenteil. Im Annuario Pontificio, dem offiziellen päpstlichen Jahrbuch, rangierten die ehemals deutschen Diözesen noch immer innerhalb der deutschen Hierarchie. Splett, der auf seinen Titel als Bischof von Danzig bis zu seinem Tod 1964 nicht verzichtet hatte, tat dies mit Billigung der Päpste. Er war von seiner Ausbildung nach Jurist (Dr. iur. utr.) und dachte dementsprechend kirchenrechtlich :  Da er „nur“ durch die Berliner Nuntiatur Ende 1939 zum Verwalter der besetzten Diözese Kulm ernannt worden war, konnte er hier Hlonds Ansinnen nachgeben. Für die Demission als Bischof von Danzig brauchte es aber ein Schreiben des Heiligen Vaters, das der Primas nicht vorweisen konnte. Splett war zudem in der Lage, die polnischen Katholiken pastoral zu betreuen, wie er es vor und während des Krieges in Danzig und Kulm getan hatte.

Nach Prozess und künstlich verlängerter Haftzeit in Polen wurde Splett Ende 1956 in die Bundesrepublik abgeschoben, wo er sich von Düsseldorf aus um die vertriebenen Danziger Katholiken kümmerte. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) ging Splett freundschaftlich auf seine polnischen Amtsbrüder zu und förderte die brüderliche Eintracht auf der römischen Kirchenversammlung. Die fraglichen Vorgänge von 1945 fanden in den 1970er Jahren eine (wissenschaftliche) Diskussion, vor allem aber seit 1988, als in Deutschland bekannt wurde, dass die Diözese Kattowitz einen Seligsprechungsprozess für Hlond plante. (Nachdem die Heiligsprechungskongregation Hlond in diesem Jahr nun den heroischen Tugendgrad zuerkannt hat, könnte es in absehbarer Zeit tatsächlich zu einer Seligsprechung kommen.)

Auf deutscher Seite dominierte die Positionierung des noch in Breslau geborenen Augsburger Theologieprofessors Franz Scholz (1909–1998). Er bekannte sich zwar „zum Anspruch Polens auf eine Wiedergutmachung in allen Bereichen“, setzte sich aber in zahlreichen Publikationen für „die Bereinigung des ‚Geländes‘“ ein, „auf dem eine deutsch-polnische Zukunft erwachsen kann“: Indem er die Fakten und Zusammenhänge jener Monate zusammentrug, wies er eindringlich auf die römischen Direktiven hin, die Hlond 1945 deutlich übertreten hatte. In seiner Geschichtsdeutung wurde Scholz vom Kölner Kardinal Joachim Meisner (1933–2017) gestützt. Auf polnischer Seite weist man bis heute überwiegend noch auf die kirchliche Notsituation in den fraglichen Gebieten hin, die dem Kommunismus anheimgefallen wären und deswegen polnische Oberhirten zum Überleben erforderten. Dass dies zumindest kurzsichtig, wenn nicht sogar irreführend war, zeigt der weitere Verlauf der Geschichte.