Der Danziger Kalendermacher Paul Pater

Vom Abreißkalender über den Dreimonatskalender bis zur Kalen­der-­App – es kommt wohl niemand ohne solch ein Hilfsmittel aus, das zuverlässig einen Rahmen für die individuelle Lebens- und Arbeitsplanung aufspannt. Dass Kalender dafür die notwendigen Informationen bereithalten, ist seit langem selbstverständlich geworden; und auch deren Verfertigung bereitet wohl keine Schwierigkeiten, sondern wird heute gewiss schon weitgehend von einem Computerprogramm erledigt. Vor diesem Hintergrund erscheint es angeraten, einmal um drei Jahrhunderte zurückzublicken: Zu dieser Zeit waren die Kalendermacher höchst begabte und universell gebildete Männer, deren komplexe Arbeit großen Respekt verdient. Einer von ihnen war der in Menhardsdorf, in der damals oberungarischen Zips, geborene Paul Pater (1656–1724), dessen Lebensweg ihn 1688 zunächst nach Thorn geführt hatte. Am dortigen Akademischen Gymnasium unterrichtete er Mathematik, Geographie, Astronomie, klassische Sprachen und Logik. Dabei legte er besonderen Wert auf die angewandte Mathematik, vor allem Mechanik, Optik, Chronologie, Statistik sowie die Architektur von Fortifikationen. Nicht zuletzt verfasste er mehrere Schauspiele, die am Theater des Gymnasiums aufgeführt wurden. Offenbar war Pater somit hervorragend als Kalenderschreiber befähigt, denn er verfügte gleichermaßen über die Kompetenzen des Mathematikers, des Astronomen, dem zu dieser Zeit auch alle wesentlichen Kenntnisse der Astrologie zu Gebote standen, und des humanistisch gebildeten sprachgewandten Dichters.

In der Thorner Zeit, vermutlich ab 1690, begann Paul Pater mit der Konzeption seiner Kalender, die er sowohl in deutscher als auch in polnischer Sprache veröffentlichte, und muss sich bald ein großes Renommee erworben haben, denn im Januar 1703 erhielt er von König August II. das Privilegium, Kalender für Preußen zu drucken. – Im Herbst des gleichen Jahres wurde Thorn von schwedischen Truppen erobert; Pater entschloss sich, die Stadt zu verlassen, und ging nach Danzig. Am hiesigen Akademischen Gymnasium wurde er 1705 als Professor für Mathematik eingestellt und setzte seine Karriere als Kalendariograph äußerst erfolgreich fort. Nun trat er zugleich als Verleger auf und gründete sogar eine Druckerei: Alle Tätigkeiten von der ersten Konzeption bis zur Distribution des fertigen Produkts waren jetzt in seiner Person vereinigt.

Die hohe Kunst der Kalendermacher sowie die Attraktivität ihres Produkts für die Käufer dürften schlagartig verstehbar werden, wenn die Inhaltsübersicht der Ausgabe für das Jahr 1722 in den Blick rückt. Dort wird vom Autor angekündigt – und marktgerecht angepriesen –, dass die Leser eine auf ihre Bedürfnisse hin zugeschnittene Auswahl aus dem vielfältigen, gegenwärtig verfügbaren Weltwissen erwarten dürfen:

Worinnen gantz gewisse Dinge /  von dem Lauff der Sonnen / Monds und dessen Vierteln vorher gesagt /  auch ungewisse von der zukünfftigen Witter= und Veränderung der Lufft gemuthmasset werden :  Mit untermengten außerlesenen Politischen Regeln u. Sprichwörtern / die Sitten / Regiments und Hauß-Lehre betreffend /  nach Anleitung der Sonntägl. Evangelien /  zu fruchtbarer Anhörung Göttl. Worts /  so wol auch seltsamen Kunst=Stücken /  anmuthigen und recht nützlichen Fragen /  sammt wol probierten /  leichten und wolfeilen Hauß=Artzney=Mitteln.

Insonderheit aber von vielen listigen Betrügereyen /  welche sich unter den gemeinen Mann /  und bey grossen Herren in der Welt zugetragen. Aus glaubwürdigen Scribenten mit Fleiß zusammen getragen […]

Alle für den „gemeinen Mann“ relevanten Dimensionen des Kosmos, der Natur und des menschlichen Lebens – der Lauf der Gestirne, der Wechsel und die Charakteristika der Jahreszeiten, die staatliche und sittliche Ordnung, die Erhaltung der Gesundheit – werden ebenso bedacht wie die christliche Heilsbotschaft oder der Bericht von seltsamen bzw. kuriosen Phänomenen; nicht zuletzt werden auch Geschichten aus aller Welt, in diesem Falle von „listigen Betrügereyen“ erzählt, die einesteils unterhalten, andernteils aber als abschreckende Exempla auch belehren und die „Tugend“ fördern sollen. An diesem Punkt zeigt sich, dass die Kalenderschreiber neben allen anderen Qualifikationen auch professionelle Redakteure sein mussten, die aus den dynamisch anwachsenden aktuellen Wissensbeständen „mit Fleiß“ passende Fragmente auswählten, sie neu arrangierten und dabei in der Lage sein mussten, kritisch die Glaubwürdigkeit der „Scribenten“ zu beurteilen.

Um dieses weitreichende Angebot den Lesern übersichtlich unterbreiten zu können, entwarf Paul Pater für die zwölf Doppelseiten des Kalenders ein komplexes zweifarbiges Druckbild, in dem die Wochen des jeweiligen Monats horizontal voneinander getrennt werden und jeder Woche zudem der Sonntagsname sowie eine Perikope aus dem Neuen Testament zugeordnet sind. Die senkrechten Spalten nennen zunächst die Wochentage, an deren Stelle aber auch Hinweise auf die Mondphasen oder auf hervorgehobene kirchliche Feste bzw. auf Tage wie den Beginn eines Quatember rücken können. Sodann erscheint die „neue“ Zahlenfolge der Kalendertage mit zugehörigen Einträgen aus dem Heiligenkalender. Diese Spalte wird unmittelbar im „alten“ Stil wiederholt, wobei diese Daten nun um elf Tage zurückgesetzt erscheinen: In reformierten und lutherischen Gebieten war die gregorianische Kalenderreform von 1582 erst im Jahre 1700 – und regional noch nicht einmal einheitlich – umgesetzt worden. Deshalb war es beim großen Verbreitungsraum des Kalenders, der nach der Angabe auf dem Titelblatt „Pomerania“, „Prussia“ und „Polonia“ umfasste, sowie beim nicht zu unterschätzenden Beharrungsvermögen langfristiger Gewohnheiten offenbar angeraten, die Ordnung des julianischen Kalenders weiterhin mit anzugeben.

Die nun folgende Spalte verknüpft zwei Arten lebenspraktischer Ratschläge. Zum einen werden dort jeweilige Planeten-Konstellationen, die astrologisch relevanten „Aspecte“, aufgeführt und im Sinne eines Horoskops interpretiert. An dieser Stelle ist es für den Nutzer notwendig, die Legende und die Erläuterungen zu befragen, die im unteren Teil eines eigenen, dem Kalendarium vorgeschalteten Blattes gegeben werden: Dort sind die Symbole der Gestirne und deren Relationen verzeichnet, und dort lässt sich dann auch ablesen, an welchen Tagen z. B. ein Aderlass, ein Haarschnitt oder das Schlagen von Bauholz besonders empfehlenswert sind.

Zum anderen werden als handlungsleitende Maximen einer klugen Lebensführung für jede Woche mehrere Sprichwörter genannt, die jeweils an die Themen der Perikopen angelehnt sind. Die Flucht nach Ägypten ruft beispielsweise die folgende Kette hervor: „Furcht macht Flucht. Furcht und Angst /  machen auch einen alten Mann lauffend. Die Flucht ist oftmals der Schlüssel zu grösserer Ehre. Furcht macht Füsse.“ Und der Kalendermacher assoziiert, um ein weiteres Beispiel zu nennen, anlässlich des Weinwunders bei der Hochzeit zu Kana: „Der beste Hausrath ist ein fromm Weib /  nur daß sie gar düne gesäet sind. Wer Hauß=Fried haben will /  der thue was die Frau will. Ein frommes Weib ist Golds werd.“

Die letzte, schmale Spalte auf dieser ersten der beiden Monatsseiten verzichtet auf die sonst durchgängige vertikale Wochengliederung; ihre Disposition folgt stattdessen den Mondphasen. Dort werden in Kurzform Wetter-Prognosen genannt, die im folgenden zweiten Teil des Kalenders, dem „Prognosticon“, ausführlicher begründet werden. So lautet solch eine Kurzversion im zweiten Eintrag auf der hier vorliegenden Seite: „Das letzte Viertel drohet mit scharfen Nordwinden u. Schnegestöber; doch in den letzten Tagen etwas bequemer.“ – Die anschließende Seite hält dann die Zeiten des Sonnenauf- und des Sonnenuntergangs, die Länge der Tage sowie die Mondphasen fest und lässt überdies Raum für gelegentliche Zusatzbemerkungen, vor allem aber für eigene Notate.

Am Fuß der Doppelseite ist jeweils noch eine separate Textrubrik angebracht. Dort werden auf der linken Seite, bezogen auf das in diesem Jahr gewählte Leitthema Wasser, Meerestiere und Schifffahrt, in didaktischer Absicht Fragen formuliert wie: „Kan auch ein Schiff die gantze Welt umfahren?“ oder (im Mai) „Wen haben die Fische beym Leben erhalten?“ – bei deren Beantwortung der Leser dann über wissenswerte, oftmals auch erstaunliche Phänomene bzw. Zusammenhänge aufgeklärt wird. Auf der gegenüberliegenden, rechten Seite finden die Rezepturen der angekündigten „Hauß=Artzney=Mittel“ ihren Ort, die (wiederum im vorliegenden Textbeispiel) „Für die Wehtage der Augen /  u. allerley Gebrechen derselben“ eingesetzt werden können oder (im Juli) „Vor den Husten etliche sehr bewehrte Mittel“ bieten.

Auf diese 24 Seiten des tabellarischen Kalenders folgt das bereits erwähnte „Prognosticon“, das weitere 15, eng bedruckte Seiten umfasst. Zwei Drittel dieses Teils bieten jeweils für die vier Jahreszeiten zusammenfassende Vorhersagen des Wetters sowie – in einem eigenen Absatz – der erwartbaren Vorgänge und Gefahren „In Politischen Staats=Händeln“. In den übrigen Abschnitten spricht der Verfasser „Vom Sonn= und Mondfinsternissen“, „Vom Zu- und Misswachs der Erden : auch Säen und Pflantzen“, „Von Krieg und Frieden“ und „Von Seuchen und Kranckheiten“, bevor auf der Schlussseite des gesamten Bandes auch noch eine Übersicht über die Markttage in allen Städten Westpreußens gegeben wird.

Durchsetzt ist das „Prognosticon“, und zwar mindestens zur Hälfte des zur Verfügung stehenden Raums, mit Erzählungen von den „listigen Betrügern“, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Epochen stammen und immer wieder die aus dem Alten Testament vertraute Figur bestätigen, dass derjenige, der anderen eine Grube gräbt, sehr leicht – wenn nicht in aller Regel – selbst hineinfällt.

Die eingehendere Betrachtung des Neuen und Alten Kunst= und Tugend=Kalenders /  Auff das 1722. Jahr Christi dürfte anschaulich gemacht haben, welche Bedeutung solch einer Publikation in einer Zeit zugekommen ist, in der sie neben der Bibel und dem Gesangbuch in den Haushalten breiter Bevölkerungsschichten den einzigen verfügbaren Lesestoff bot. Diesen Bedarf wusste der Kalendermacher Paul Pater offenbar optimal zu befriedigen: Sein Konzept war derart beliebt und erfolgreich, dass der Kunst= und Tugend=Kalender auch nach dem Tode des Autors noch über viele Jahrzehnte weitergeführt wurde. Die letzte Auflage erschien erst im Jahre 1812.

Diese erstaunliche Wirkungsgeschichte beruht anscheinend auf einer perfekten Kombination von vielfältigen und verlässlichen Informationen, die interessant vermittelt sowie abwechslungsreich-unterhaltsam aufbereitet werden und dadurch maßgeblich das Ziel auch schon der frühen Aufklärung verfolgen: die Überwindung des Obskuren, des Aberglaubens und aller unreflektierten Vorurteile zu fördern. Wie intensiv sich Paul Pater darum bemüht, dass seine Leser sich eigenständig in der Natur und Geschichte orientieren, zeigt das bereits zitierte Blatt mit den Legenden. Es gibt nicht nur Auskunft über den Kosmos und die Grundlagen der astrologischen Deutungen, sondern setzt das Jahr 1722 in Relation zu einer Vielfalt von mythischen und historischen Einsatz- und Wendepunkten. So erfahren die Leser beispielsweise, dass „Von Erschaffung der Welt“ 5.671 Jahre, „Von Ankunfft des Türkischen Abgotts Mahomet“ 1.130 oder seit der Einführung des „verbesserten“ Kalenders 23 Jahre vergangen seien, und gewinnen dadurch die Möglichkeit, die kulturelle Vielschichtigkeit und geschichtliche Veränderbarkeit der Welt wahrzunehmen.

Die gesamte aufklärerische Praxis des Kalendermachers wird letztlich allerdings von der unverbrüchlichen christlichen Überzeugung getragen, dass alle Prozesse ihren Sinn allein aus der göttlichen Heilsgeschichte der Menschen beziehen und alles vom Willen und Segen des Höchsten abhängt. An einem zentralen Ort, im unteren Teil der Inhaltsübersicht, hebt dies gleich zu Beginn die emblematische, an 1 Kor 3, 6 anknüpfende Darstellung einer Gartenszene hervor: Sie zeigt den Apostel Paulus, der soeben einen Baum gepflanzt hat, sowie ein Spruchband mit dem Satz: „arescit nisi desuper“ (Das vom Menschen Gepflanzte vergeht, wenn Gott es nicht gedeihen lässt). Dabei darf als sicher angenommen werden, dass Paul Pater diese Figur des Apostels nicht ohne Bedacht gewählt hat: Das segensreiche Wirken seines Namenspatrons beim „Einpflanzen“ christlicher Glaubensgewissheit sollte von den Lesern zugleich als Sinnbild seines eigenen aufklärerisch-didaktischen Bemühens verstanden werden.

Joanna Szkolnicka / Erik Fischer