Motive und Handlungsoptionen des preußischen Staates

Von Peter Paziorek

Am 5. August des Jahres 1772 – vor 250 Jahren – schaffte die „Erste Polnische Teilung“ die Voraussetzung dafür, dass der Preußenkönig Friedrich II. einen Teil des polnischen Staatsgebietes in Besitz nehmen und daraus eine eigene Provinz bilden konnte, die er im folgenden Jahr „Westpreußen“ nannte.

In jüngerer Zeit wird diese Annexion vielfach pauschal als völkerrechtswidrig bezeichnet. Dabei wird allerdings der Eindruck vermittelt, als wären die heutigen völkerrechtlichen Regeln zur Anerkennung eroberter Gebiete und das heutige Selbstbestimmungsrecht der Völker identisch mit den zwischenstaatlichen Gepflogenheiten und moralischen Prinzipien früherer Jahrhunderte. Stattdessen galten in dieser Zeit auch andere handlungsleitende Normen als legitim: sei es das Gebot der Staatsräson, sei es die Notwendigkeit, das Kräftegleichgewicht zwischen den europäischen Staaten auszutarieren. Unter dieser Voraussetzung erscheint es angeraten, die geschichtlichen Vorgänge, die zur Entstehung Westpreußens geführt haben, detaillierter zu erfassen und daraufhin auch differenzierter zu beurteilen.

Die Entwicklung Preußens in einem konfliktreichen Umfeld

Das Gebiet am Unterlauf der Weichsel hatte der deutsche Ritterorden nach dem Zweiten Frieden von Thorn am 19. Oktober 1466 an das Königreich Polen abtreten müssen. Weitere große Teile des späteren Ostpreußens verblieben dagegen beim restlichen Ordensstaat. Die isolierte Lage dieses Reststaates hatte zur Folge, dass die außenpolitische Situation für ihn im Laufe der Jahrzehnte immer schwieriger wurde. Mit großen Hoffnungen wurde daher im Orden begrüßt, dass Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach, mütterlicherseits ein Neffe des polnischen Königs Sigismund, 1510 die Hochmeisterwürde annahm, nachdem er erst zu diesem Zwecke das Ordensgewand angelegt hatte. Mit großem Selbstbewusstsein versuchte Albrecht, sich der Forderung des Polenkönigs auf Leistung eines Huldigungseides zu entziehen.

Diese Frage wurde erst im Frieden von Krakau am 8. April 1525 endgültig geklärt: Unter der Bedingung, dass Albrecht den Lehnseid für sich und seine Erben leistete, erkannte ihn der Polenkönig als erblichen Herzog von Preußen an. Von einer Herrschaft des Ordens in Preußen war somit keine Rede mehr. Aus dem Vertrag ergab sich zudem, dass erst nach Aussterben aller männlichen Leibeserben des Herzogs und seiner Nebenlinie das Land wieder an die Krone Polens zurückfallen müsste. Auch hierbei wurde der Orden nicht mehr bedacht.

Im Jahr 1599 regelte ein Hausvertrag zwischen dem Kurfürsten Joachim Friedrich von Brandenburg und dem Markgrafen Georg Friedrich als dem Vertreter der fränkisch-preußischen Linie die Unteilbarkeit sämtlicher hohenzollerscher Lande einschließlich Preußens zugunsten der brandenburgischen Linie. Als 1603 Fürst Georg Friedrich in seinem Erbland Ansbach verstarb, hinterließ er Preußen als ein durchaus blühendes Land. Dennoch war aufgrund der Kriege zwischen Schweden und Polen und der militärischen Unterlegenheit des preußischen Staates die Situation der Hohenzollern als Herzöge von Preußen äußerst gefährdet. Die Beurteilung der späteren Entwicklungen bis ins Jahr 1772, also bis zur Ersten Polnischen Teilung, kann folglich nur dann zutreffend erfolgen, wenn auch die Probleme der Brandenburger Kurfürsten und Herzöge von Preußen bei der Sicherung ihres Landes berücksichtigt werden.

Für jeden Hohenzollern war es von Bedeutung, die Anerkennung des ehemaligen Ordenslandes Preußen als eines eigenen, souveränen Territoriums durch die Nachbarstaaten zu erreichen. Da dieses Gebiet außerhalb der Grenzen des Römischen Reiches Deutscher Nation lag, erfolgte dies zunächst durch Lehnsunterstellung unter die Polnische Krone. Trotz dieses diplomatischen Erfolges des Brandenburgischen Kurfürsten blieb seine Landesherrschaft als Herzog von Preußen weiterhin zerbrechlich. Nach dem Westfälischen Frieden des Jahres 1648 erstreckte sich das brandenburgische Territorium, die westdeutschen Gebiete außer Acht gelassen, von der Altmark bis zur Ostgrenze Hinterpommerns, wobei der Abstand zum Herzogtum Preußen von dort aus immerhin noch 120 Kilometer betrug, was in einem Konfliktfall durchaus problematisch sein konnte.

Stabilere Verhältnisse ergaben sich erst mit den Verträgen von Wehlau und Oliva in den Jahren 1657 und 1660. Kurfürst Friedrich Wilhelm, der späterhin der Große Kurfürst genannt wurde, vermochte im Zweiten Nordischen Krieg von 1655 bis 1660 sein Heer bedeutend zu verstärken und erreichte es, dass Schweden und Polen ihn nicht aus seinem Herzogtum hinausdrängen konnten. Nach der Niederlage bei Warschau 1656 gab der schwedische König sogar seinen Plan auf, Preußen seinerseits zum Lehen zu nehmen. In einem am 19. September 1657 bei Wehlau unterzeichneten Geheimvertrag erklärte sich auch Polen bereit, dem Kurfürsten Preußen zu überlassen, so dass er dadurch die volle Souveränität über das Herzogtum erwarb. Dieses Verhandlungsergebnis wurde schließlich im Vertrag von Oliva am 3. Mai 1660 international verbindlich anerkannt, da nun auch Österreich, Polen und Schweden Mitunterzeichner waren.

Ganz uneingeschränkt war diese Souveränität jedoch noch nicht; denn innerhalb des Vertrages von Wehlau wurde die Souveränität auf die unmittelbaren männlichen Nachkommen des Kurfürsten begrenzt. Falls diese ausstarben, sollte Preußen an Polen zurückfallen; und alle preußischen Untertanen hatten sich auf diese Eventualität durch Eid zu verpflichten. Beim jeweiligen Thronwechsel musste deshalb polnischerseits festgestellt werden, ob der neue Herrscher tatsächlich in direkter Linie vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm abstammte. Dessen Enkel, König Friedrich Wilhelm I., markierte diesen Sachverhalt in seinem politischen Testament von 1722. Er riet dabei seinem zukünftigen Nachfolger, Kronprinz Friedrich, bei seinem Regierungsantritt die Wahrnehmung der polnischen Rechte zu umgehen. Denn wenn es Polen gelänge, auf die Besitzergreifung des neuen preußischen Königs Einfluss zu gewinnen, so könne das langfristige Schäden für Brandenburg-Preußen hervorrufen. Tatsächlich wurde dieses Recht Polens auf eine Überprüfung des Thronwechsels in Preußen erst im Zusammenhang mit der Ersten Teilung Polens 1772 aufgehoben.

Diese Einzelfallregelung lässt erkennen, wie schwierig für Preußen die Verhältnisse in Mittel-Osteuropa noch 1722 gewesen sind. Das Bewusstsein aller hohenzollerschen Kurfürsten für die historische Bedingtheit ihrer Erfolge war somit verbunden mit dem Wissen, dass das Erreichte auch wieder rückgängig gemacht werden könnte. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Mächten war das eigene Territorium des Hauses Hohenzollern wegen seiner geografischen Zersplitterung in hohem Maße verletzbar. So nahm Friedrich I. den Titel „König in Preußen“ wohl auch deshalb an, weil er mit der neuen Krone sein Staatsgebiet im Osten vor etwaigen Ansprüchen Polens schützen wollte. Die Krönung des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg am 18. Januar 1701 in Königsberg zum König in Preußen ergab eine Rangerhöhung, die politisch zur Absicherung des eigenen Besitzes beitragen konnte.

Machtspiele auf dem Weg zur Teilung Polens

Eine neue Konstellation ergab sich im Laufe des Großen Nordischen Krieges (1700–1721), in dem sich Russland unter Zar Peter dem Großen die Stellung einer europäischen Führungsmacht erkämpfte. Dieser überraschende Aufstieg des Zarenreiches bewirkte schnell einen maßgeblichen russischen Einfluss auf die inneren Verhältnisse Polen-Litauens. Zugleich war der Hohenzollernstaat infolge der Zerrissenheit seines Territoriums von allen Nachbarn Polen-Litauens am stärksten von diesem Wandel der Machtverhältnisse in Osteuropa betroffen. Friedrich Wilhelm I. musste notwendigerweise die Hegemonialstellung Russlands in Polen anerkennen, wie es dann im Preußisch-russischen Vertrag von 1720 zum Ausdruck kam.

Trotz der früheren diplomatischen Erfolge blieb die Landesherrschaft der Hohenzollern in Preußen folglich gefährdet. Drastische Unterbrechungen der Landeshoheit erfolgten im Laufe des Siebenjährigen Krieges (1756–1763): 1757 musste das Königreich Preußen der Russischen Kaiserin Elisabeth huldigen, auch wenn zunächst nur ein Teil des Landes von russischen Truppen besetzt worden war. Im Jahre 1758 erfolgte ein erneuter Einmarsch, der nunmehr – und bis ins Jahr 1762 – zur Besetzung des gesamten Gebietes führte. Dieser Besetzung war aber schon am 1. Januar 1758 ein kaiserlich-russisches Manifest vorausgegangen, wonach am 24. Januar in Königsberg sämtliche Behörden, und in den folgenden Tagen und Wochen auch alle Behörden im Land, den Huldigungseid gegenüber der Russischen Kaiserin zu leisten hatten. Die Einnahmen von Behörden und Privatpersonen waren nun an die Kaiserin zu adressieren, und alle Amtshandlungen ergingen in ihrem Namen. Sie übte während dieser Zeit in vollem Umfang alle Hoheitsrechte im Königreich aus, das als russische Provinz angesehen wurde und nun tatsächlich den Namen Neu-Russland führte.

Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges verstärkten diese traumatisierenden Erfahrungen in der preußischen Außenpolitik die Überlegung, durch die Gewinnung eines Teils des polnischen Staatsgebietes im sogenannten Königlichen Preußen eine territoriale Verbindung zwischen Pommern und dem Königreich Preußen herzustellen. In Berlin beabsichtigte man aber nicht, dieses Ziel durch eine neue kriegerische Auseinandersetzung zu erreichen; denn Preußen war sich über seine eigenen akuten wirtschaftlichen und militärischen Defizite durchaus im Klaren.

Überhaupt wusste man bereits aus früheren Konstellationen, dass Preußen in Ost-Mitteleuropa nur eine relativ schwache Position einnahm. So war beispielsweise im Jahre 1717 ein Konflikt, der sich in Polen zwischen König und Adel ergeben hatte, unter russischem Einfluss beigelegt worden, wobei u. a. geregelt wurde, dass das gesamte Polnisch-Litauische Reich nur über reguläre Truppen in Stärke von 24.000 Mann verfügen dürfe. Damit geriet Polen-Litauen gegenüber seinen Nachbarn militärisch hoffnungslos ins Hintertreffen, was nun schrittweise seitens Russlands zur weiteren Stärkung der eigenen Position ausgenutzt wurde. So operierte während des Siebenjährigen Krieges das zaristische Heer gegen Preußen vom Gebiet Polens aus, obwohl die polnische Adelsrepublik selbst offiziell neutral geblieben war.

Obwohl Russland am Ende des Siebenjährigen Krieges auf die ursprünglichen Annexionspläne gegenüber Preußen verzichtete, blieb die Lage an dessen östlicher Flanke überaus kritisch, da russische Truppen weiterhin in Polen operierten. Das führte dazu, dass Friedrich seine Politik der Verständigung gegenüber Russland wieder aufnahm – zumal er das Ziel, eine Landverbindung nach Ostpreußen über polnisches Staatsgebiet herzustellen, keineswegs aufgab: Er war sich dabei bewusst, dass die Abtretung des unteren Weichsellandes durch den polnischen Staat nur mit Zustimmung Russlands erfolgen könne.

Nach mehreren polnischen Reformideen zur Innenpolitik, die allesamt gescheitert waren, kam es am 24. Februar 1768 zu einem neuen polnisch-russischen Vertrag, der gezwungenermaßen vom polnischen Reichstag gebilligt wurde. Dieser sogenannte „Ewige Vertrag“ beinhaltete auch eine russische Garantie für die territoriale Integrität und politische Souveränität Polens. Trotz dieses Vertrages nahmen die Ereignisse aber noch in diesem Jahr eine völlig andere Richtung, und zwar auf eine Teilung Polens hin: Im Königreich Polen verstärkte sich der Unmut des polnischen Adels über die faktisch bestehende russische Protektoratsherrschaft und die offene Missachtung der eigenen Souveränität. In Polen wurde von der Opposition somit verstärkt die Rücknahme des Ewigen Vertrages gefordert. Das wiederum nahm Russland zum Anlass, mit eigenen Truppen wiederum in Polen einzumarschieren. Nur wenige Monate später folgte im Herbst eine Kriegserklärung des Osmanischen Reiches an das Russische Zarenreich, ausgelöst durch die inneren Unruhen in Polen. Das Osmanische Reich hatte die russische Einflussnahme in Polen schon länger missbilligt und nutzte die Unruhen, um sich mit den Aufständischen zu solidarisieren. Russland befand sich somit in einer Zwei-Fronten-Situation, wobei die Gefahr bestand, dass Österreich-Habsburg sich dadurch ebenfalls zu einem Kriegseintritt provoziert fühlen könnte. Preußen seinerseits bemühte sich, die explosive Lage durch den Plan zu entschärfen, dass sich die drei Großmächte darauf einigen sollten, sich jeweils Teile des polnischen Staatsgebietes abtreten zu lassen.

Unter dem wachsenden Druck aufständischer polnischer Truppen willigte die Zarin Katharina II. letztlich ein und ebnete so den Weg zu einer Teilung Polens. Durch diese Strategie wollte Preußen – wie später auch Habsburg – einen alleinigen Machtzugewinn des Zarenreiches verhindern. Bei seinen diplomatischen Bemühungen war Friedrich II. bestrebt, einen Weg zu finden, auf dem Verschiebungen des Mächtegleichgewichts und auch weitere kriegerische Verwicklungen in Osteuropa vermieden werden könnten. Diese Politik sollte aus preußischer Sicht aber auch weiterhin zur Abtretung des polnischen Weichsellandes an die Hohenzollern führen – was schließlich gelang.

Nachdem schon am 17. Februar 1772 eine russisch-preußische Verständigung über das weitere Vorgehen erzielt und schriftlich niedergelegt worden war, wurde am 5. August 1772 schließlich der Teilungsvertrag zwischen Preußen, Russland und Österreich unterzeichnet. Dieser Vertrag bedeutete für Polen einen Verlust von über einem Drittel seiner Bevölkerung sowie von über einem Viertel seines bisherigen Staatsgebietes. Preußen erhielt zwar der Bevölkerung und Größe nach den kleinsten Anteil, strategisch gesehen aber war dieses erworbene Territorium für Preußen von höchster wirtschaftlicher und militärischer Bedeutung. Zudem durfte Friedrich II. sich künftig König von Preußen – und nicht nur König in Preußen – nennen.

Die Annexion des unteren Weichsellandes und ihre Nachwirkungen

Schon am 27. September 1772 fand die feierliche Huldigung der Stände im großen Remter der Marienburg statt. Zuvor, am 13. September 1772 und an den folgenden Tagen, hatte Friedrich II. unter Erlass eines Patentes von Polnisch-Preußen, dem Bistum Ermland sowie den drei Woiwodschaften Kulm, Marienburg und Pommerellen und außerdem vom Netzedistrikt Besitz ergriffen. Für dieses Territorium wurde von Friedrich II. durch Kabinettsorder vom 31. Januar 1773 der Name „Westpreußen“ bestimmt. Die Inbesitznahme des Netze-Gebietes erfolgte allerdings nicht in einem Schritt, sondern durch zweimalige Erweiterungen in den Jahren 1773 und 1774. Dadurch erfolgte die Huldigung des Preußischen Königs im Netzedistrikt erst am 22. Mai 1775.

Für das Königreich Polen bedeutete die Abtrennung größerer Gebiete seines Territoriums eine tiefe Zäsur, da jetzt in keiner Weise mehr von einer Vormachtstellung Polens gesprochen werden konnte. Damit war zugleich ein wichtiges Ziel der russischen Politik erreicht, die schon frühzeitig konsequent darauf gerichtet war, mit Polen an den eigenen Westgrenzen einen verarmten und geschwächten Klientelstaat als Puffer gegenüber den anderen europäischen Mächten zu haben. Genau zu diesem Zweck erkaufte sich die Russische Zarin auch den Gehorsam von höchsten Amtsträgern der Polnischen Republik. Nur Russland besaß die politischen Mittel, um in Polen in massiver Form auf die innenpolitische Entwicklung Einfluss zu nehmen. Russland glaubte sogar anfangs, es könnte sein Protektorat in Polen auf unbegrenzte Zeit aufrechterhalten, was aber nicht gelang; denn es wurde immer deutlicher, dass die Entsendung russischer Truppen zur Niederschlagung der Aufstände in Polen das gesamte Machtgleichgewicht in Europa zu zerstören drohte. Russland musste daher, um freie Hand in Polen zu haben, die Befürchtungen Preußens und Österreichs beschwichtigen, indem es territorialen Kompensationen zugunsten dieser Staaten zustimmte. Machtpoltisch ergab sich somit aus dem Ziel der russischen Zarin, in Polen russlandfeindliche Reformen um jeden Preis zu zerschlagen, die Notwendigkeit, Preußen und Habsburg mit territorialen Zugeständnissen zum Stillhalten zu bringen.

Es erscheint daher als unzulässig verkürzt, Friedrich II. als den wahren Architekten der Ersten Teilung Polens zu bezeichnen. Er zielte angesichts des aggressiven Vorgehens Russlands gegen Polen zunächst darauf ab, aus dieser Politik keine tiefgreifenden Folgen für das Machtgleichgewicht in Mittel-Osteuropa entstehen zu lassen. Überdies muss Friedrich II. vor dem Hintergrund der preußischen Staatsräson durchaus zugestanden werden, dass er keinesfalls die Zerstörung des polnischen Staates angestrebt, sondern sich vielmehr auf die Inbesitznahme eines Gebietes konzentriert hat, das von den Hohenzollern hinsichtlich der Sicherung ihres Staatsgebietes als äußerst wichtig angesehen wurde.

Nach der Unterzeichnung der Teilungsverträge wurden der Polnische König und der Polnische Reichstag – nicht zuletzt durch Bestechung – dazu gebracht, diesen Verträgen 1773 auch völkerrechtlich zuzustimmen. Polen blieb nach der Abtretung der betroffenen Gebiete an die drei Teilungsmächte staatsrechtlich ein handlungsfähiger Staat, denn die Regelung von 1772 hatte eben nicht eine Aufteilung Polens zur Folge. Dies wird heute oft übersehen. Dagegen müssen die Zweite und Dritte Teilung Polens als eindeutiges Unrecht bezeichnet werden. Schon der zweite Teilungsvertrag, durch den das historische Großpolen neben Danzig und Thorn an Preußen fiel, brachte ein heterogen zusammengesetztes polnisches Staatsgebiet hervor, das kaum mehr als tragfähig oder lebensfähig angesehen werden konnte. Durch die Dritte Teilung schließlich verschwand Polen gänzlich von der europäischen Landkarte und sollte nach dem Willen der Teilungsmächte dort auch nie wieder auftauchen. Damit wurde aus der Brandenburgisch-Preußischen Politik der Absicherung des eigenen östlichen Staatsgebietes durch Inkorporation des Gebietes an der Weichsel eine Politik der Zerstörung eines Nachbarstaates. Das preußische Annexionsstreben unter dem Nachfolger Friedrichs hatte nichts mehr mit der Wahrnehmung realer preußischer Interessen zu tun, vielmehr war es nichts anderes als hemmungslose Territorialpolitik.

Angesichts der rigorosen Annexionspolitik hatte Freiherr vom Stein schon im Juni 1807 die polnischen Teilungen in seiner Nassauer Denkschrift, die zur Grundlage der preußischen Staatsreform werden sollte, folgendermaßen verurteilt:

Die Teilung von Polen zeigte das traurige Bild einer durch fremde Gewalt unterjochten Nation, die in der selbständigen Ausbildung ihrer Individualität gestört wurde, der man die Wohltat einer sich selbst gegebenen freien Verfassung entriss und an ihrer Stelle eine ausländische Bürokratie aufdrang.

Gleichwohl wurde auf dem Wiener Kongress 1814/15 das fatale Bemühen, Polen möglichst niederzuhalten, auf Druck Russlands von den Teilungsmächten fortgesetzt. Für Russland kam nur ein polnischer Staat in Betracht, der durch Personalunion dem russischen Zaren unterstellt war. Der Wiener Kongress, dessen Ziel es eigentlich sein sollte, die durch Napoleon mit Gewalt herbeigeführte Neuordnung Europas durch eine Wiederherstellung legitimer Verhältnisse rückgängig zu machen, bestätigte vielmehr ausdrücklich die vorangegangene finale Teilung Polens.