Die Tucheler Heide bildet eines der ­größten ­Waldgebiete Polens und Mitteleuropas. Sie bietet mannigfache Möglichkeiten für eine abwechslungs­reiche und harmonische Urlaubsgestaltung.

Schier unermesslich erscheinen dem Reisenden die Fülle der Naturschönheiten, die ökologische Vielfalt und zugleich die attraktiven touristischen Angebote, die jenes Gebiet bereithält, das sich von der Weichselniederung bei Bromberg und Graudenz zum Westen hin nach Konitz, nördlich bis an die Kaschubei erstreckt, und das den verheißungsvollen Namen „Tucheler Heide“ trägt. Die Erwartungen all jener, die nun an Hermann Löns denken, der an ihrem südöstlichen Ausläufer in Deutsch Krone aufwuchs und späterhin sein Ideal solch einer Landschaft in Bezug auf die Lüneburger Heide besungen hat, werden mit den Beobachtungen des Naturforschers Paul Graebner (aus dem Jahre 1901) allerdings enttäuscht:

Anders verhält sich die Tucheler Heide in Westpreußen, die gleichfalls ziemlich tief ins Binnenland hineinragt. Ihr fehlt eine eigentümliche Heidevegetation, denn wenn sich auch hin und wieder größere und kleinere Bestände von Calluna und Arctosta­hylos finden, macht die ganze Landschaft nicht den Eindruck einer Heidelandschaft.

Stattdessen überrascht dieses große Waldgebiet, das zum Teil 2010 von der UNESCO zu einem herausragenden Biosphä­renreservat erklärt wurde, durch eine einzigartige Moränenlandschaft mit Hunderten von Seen, Fließgewässern, Sumpfgebieten, Kiefernwäldern; und ihre Sanderebenen, die während der Eiszeit geformt wurden, sind in dieser Gestalt in Europa einmalig.

Zum Schutze der Umwelt wurden seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehrere Landschaftsparks gegründet, z. B. nordöstlich von Tuchel, rund um Vandsburg, nördlich von Konitz und, mit knapp 48 km2 als kleinster, der Nationalpark Tucheler Heide (Park Narodowy Bory Tucholskie). Der Eintritt hier ist kostenpflichtig, und von den Besuchern wird besondere Rücksicht verlangt, dafür aber werden sie belohnt durch mannigfache Entdeckungen in urwüchsiger Natur, sind umgeben von seltenen Pflanzen und bedrohten Tieren, und nicht zuletzt kann der Blick auf einem jener zwanzig glasklaren Seen verweilen, von denen die Einheimischen schwärmen, sie seien die „Augen der Wälder“.

Es ist gewiss eine große Herausforderung für die Verantwortlichen, sich einerseits den ökologischen Fragestellungen und Notwendigkeiten zu stellen, andererseits den Bedürfnissen der Menschen nach Erlebnis, Freizeit und Sport gerade in solch einem besonderen Umfeld nachzukommen. Es ist eine breite Palette von Angeboten, die Touristen in die Tucheler Heide locken. Die Aktivitäten auf dem Wasser nehmen dabei eine herausragende Rolle ein – auf etlichen Seen ist das Segeln gestattet, und vielerorts dürfen sich Familien im kühlen klaren Nass vergnügen. Unübertroffen aber bleibt wohl die Attraktivität der beiden Lebensadern dieses Gebietes :  der Flüsse Brahe (Brda) und Schwarzwasser (Wda), die nach einer malerischen Reise durch die Tucheler Heide in die Weichsel münden. Die Brahe, heute als „Königin der pommerschen Flüsse“ gerühmt, durchfließt zahlreiche Seen, mäandert durch Wiesen und Heiden, bahnt sich den Weg durch Schluchten, vorbei an umgestürzten Bäumen, an denen sich der Biber erfolgreich abgearbeitet hat. Manche Strecken sollten sich nur erfahrene Kanuten zutrauen, viele gelten als buchstäblich kinderleicht und damit auch äußerst erholsam. Einige Tage mag man auf diese Weise unterwegs sein, erreicht zum Abend einen der angenehmen Camping- oder Biwakplätze und sollte dort in der Stille der Nacht die umherflatternden Fledermäuse beobachten können.

Neben den Wassersportlern oder auch den Anglern erkunden auf ihre Art Radfahrer und Reiter das Terrain. Eine Besonderheit sind dabei wohl die zwar organisierten, doch individuell durchgeführten, mehrtägigen Fahrten mit den Planwagen, die großzügig ausgestattet sind und von gut geschulten Pferden sicher von Quartier zu Quartier gezogen werden. Wer dies alles als zu voraussetzungsreich ablehnt, mag sich getrost zu Fuß auf Wanderschaft begeben. Unterschiedlichste, auch weitläufige Routen wurden ebenso wie aufschlussreiche Lehrpfade ausgearbeitet und zuverlässig markiert; es mag aber auch ein kleiner, lauschiger Spaziergang genügen, um sich, vielleicht nach Tagen intensiver Stadtbesichtigungen, ein wenig zu erholen und hier die frische Luft tief einzuatmen, die zu den besten in Polen gehören soll.

Ein solcher Rückzugsort könnte das Örtchen Klinger (Tleń) sein, gelegen in dem östlichsten Landschaftspark der Tucheler Heide, nahe Osche (Osie) und nicht fern von dem ältesten Naturschutzgebiet Polens, das 1827 eingerichtet wurde, um den Jahrhunderte alten Bestand von Eiben am Westufer des Mukrz-Sees (Jezioro Mukrzańskie) zu bewahren. Zum Namenspatron dieses Reservats wurde später der Künstler Leon Wyczόłkowski (1852–1936), der in seinem Werk – vieles davon ist im Regionalmuseum Bromberg ausgestellt – oftmals diese Eiben gemalt hat. In Klinger selbst, einem Ort, der sich ganz dem Tourismus verschrieben hat, wird der Wanderer nun direkt von dem an der Haupstraße gelegenen Parkplatz durch einen hohen Kiefernwald auf einen Rundweg geleitet, der weiträumig um einen ausgebuchteten idyllischen See führt. Der erste Blick fällt auf das mächtige Wolkenbild, das sich im stillen Gewässer spiegelt, der Blick dann hinüber zum gegenüberliegenden Ufer lässt innehalten: eine natürliche Sandbank zwischen knorrigem Wurzelwerk lädt ein zum Verweilen und Träumen. Den See zu umrunden, wäre wohl in anderthalb Stunden möglich, würde nicht ständig die Lust zum Fotografieren geweckt, auch in der trügerischen Hoffnung, die zauberhafte Atmosphäre eines solchen Sommertages festhalten zu können. – Zum Ausgangspunkt des Spazierganges zurückgekehrt, wird die Aufmerksamkeit auf einen Gedenkstein in einer kleinen, gepflegten Grünanlage gelenkt. Erinnert werden soll an Alfons Hoffmann, den „Vater der Elektrifizierung im Vorkriegspolen“, der 1895 in Graudenz geboren wurde, nach dem Studium in Danzig dortselbst und zeitweise in Aachen gearbeitet und sich politisch, sozial und kulturell engagiert hat. Nach seinem Tode 1963 wurde er in Langfuhr beigesetzt. Seiner wird eigens mit einer „Promenade“ gedacht.

Angebote für Tretbootfahren auf der gestauten Schwarzwasser, spezielle Strecken für Nordic-Walking-Begeisterte, ein Freilichtkino oder einige gemütliche Gasthäuser kennzeichnen dieses kleine Ferienzentrum. Nicht zulezt findet sich freilich für gehobene Ansprüche auch hier, am Rande der Ortschaft, eines der zahlreichen luxuriösen Wellness-Hotels dieser Region. Der Ort Klinger kann somit ein Sinnbild sein für das Konzept „Tucheler Heide“, in dem verantwortungsbewusst eine fruchtbare Verbindung von der Bewahrung und Pflege der Natur, einer ökologischen und kulturgeschichtlichen Bewusstseinsschärfung sowie der vielfältigen touristischen Erschließung geschaffen wird.

Ursula Enke